Hämophilie mit Arthropathie im Sprunggelenk


Featurebild

Bild: www.freepik.com

Von der Bluterkrankheit (Hämophilie) sind nach Angaben der WHO (Weltgesundheitsorganisation) weltweit mehr als 400 000 Menschen betroffen. An einer Hämophilie A sind etwa 80 Prozent und an der Hämophilie B 20 Prozent erkrankt. Oftmals tritt im Verlauf eine hämophile Osteoarthropathie (Erkrankung der Knochen und Gelenke), aufgrund der vorliegenden Gerinnungsstörung, auf.

 

Grundlagen einer Hämophilie

Im Blut befindliche Gerinnungsfaktoren bewirken eine Verklebung der Thrombozyten (Blutplättchen), die zur Gerinnung des Bluts führen. Sowohl bei der Hämophilie A als auch B liegt ein Mangel, eine Inaktivität oder das Fehlen bestimmter Gerinnungsfaktoren vor. In den meisten Fällen handelt es sich bei den Betroffenen um eine Erbkrankheit des männlichen Geschlechts, wobei das Verhältnis 1 Betroffener zu 10 000 gesunden Personen beträgt. Allerdings sind seltenere auftretende spontane Neumutationen (Veränderungen des genetischen Materials) ohne Vererbung möglich. Die Gerinnungsfaktoren VIII oder IX bleiben bei den Betroffenen lebenslang inaktiv. Häufige Formen der Hämophilie sind:

  1. Bei der Hämophilie A liegt ein Mangel des Gerinnungsfaktors VIII vor. Sie wird in die häufigere Form „A -", bei der der Faktor VIII komplett fehlt, sowie in die seltenere Form „A +“ mit vorhandenem, aber inaktiven Faktor VIII unterteilt. Des Weiteren erfolgt eine Einteilung in verschiedene Schweregrade, je nach Vorhandensein des Faktors VIII im Blut. Bei der leichten Verlaufsform liegt eine Restaktivität des Gerinnungsfaktors VIII von 5 bis 15 Prozent vor. Die mittelschwere Verlaufsform besitzt eine Restaktivität des Gerinnungsfaktors VIII von 1 bis 5 Prozent und bei der schweren Form besteht nur noch eine Restaktivität des Gerinnungsfaktors VIII von 1 Prozent.
  2. Bei der Hämophilie B besteht Mangel, Inaktivität oder Fehlen des Gerinnungsfaktors IX, der sogenannte Christmas-Faktor, mit mäßig schwerem oder extrem schwerem Verlauf der Blutungsneigung.

 

Klinische Symptomatik

Schon bei kleinsten Verletzungen kann es zu ausgedehnten Blutungen kommen. Bereits im Säuglingsalter sind massive Nabelblutungen möglich. Bei Kindern ist heftiges Nasenbluten typisch. Des Weiteren sind ohne vorherige Substitution des fehlenden Gerinnungsfaktors VIII oder IX Blutungen bei und nach operativen Eingriffen sowie nach Zahnextraktion gefährlich. Großflächige Hämatome treten oftmals bereits nach Bagatellverletzungen unter der Haut (subkutan) auf. Einblutungen in die Muskulatur mit Funktionseinschränkungen sind meistens sehr schmerzhaft.

Verkrustungen infolge von Riss-, Schnitt- oder Schürfläsionen können immer wieder aufreißen, sodass Wundheilungsstörungen auftreten. Ferner kann es zu einer Hämaturie (Blut im Urin) kommen. Selten besteht eine Hirnblutung. Zu beachten ist, dass uncharakteristische Beschwerden im Abdomen (Bauchraum), bei vorliegender Hämophilie, durch stärkere Einblutungen mit Kompression der Nachbarorgane, ausgelöst werden können.

Häufig kommt es bei Betroffenen mit Hämophilie, entsprechend dem Schweregrad, zu rezidivierenden (wiederkehrenden) Gelenkeinblutungen. Betroffen sind vor allem Sprung-, Knie-, Hüft-, Schulter- und Ellenbogengelenk. Die Folgen sind heftige Schmerzen, Gelenkschwellung mit verstrichenen Gelenkkonturen, Gelenkentzündung, blutiger Gelenkerguss und Funktionseinschränkung (Abbildungen 1 a, b und c). Im weiteren Verlauf entwickeln sich häufig Kontrakturen (Verkürzungen der Weichteile), Muskelatrophien (Muskelrückgang) und letztlich eine Knorpel- und Knochenschädigung. Es handelt sich hierbei um eine hämophile Arthrose. Letztlich bestehen irreversible (nicht umkehrbare) Fehlstellungen und Gelenkeinsteifungen mit massivem Funktionsverlust.

 

Diagnostik

Wichtig ist eine explizite Erhebung der Familienanamnese in Bezug auf eine vorliegende Hämophilie. Es folgt eine Faktorenanalyse im Blut. Serologische Untersuchungen ergeben im akuten Stadium häufig eine Erhöhung der Entzündungsparameter. Dabei sind die Blutsenkung, weiße Blutkörperchen (Leukozytose) und CRP (C-reaktives Protein (Eiweiß)) erhöht. Typisch erscheint die partielle Thromboplastinzeit (TPZ, Quick (Laborparamater zur Gerinnungsdiagnostik und Erfassung von Blutgerinnungsstörungen)) verlängert. Bildgebende Diagnostikmethoden betreffen Sonografie, Computertomografie (CT) oder Magnetresonanztomografie (MRT) (Abbildungen 2 a und b).

 

Prophylaktische Maßnahmen

Zu beachten ist, dass zum Beispiel Thrombozytenaggregationshemmer oder ASS (Acetylsalizylsäure) wegen eines Blutungsrisikos nicht verabreicht werden dürfen. Bei invasiven Eingriffen ist auf eine sichere Blutstillung zu achten. Jegliche intramuskulären Injektionen sind abzulehnen. Risiken, die zu Verletzungen und nachfolgenden Gelenkeinblutungen führen können, sollten unbedingt vermieden werden.

 

Therapie

Bisher ist die Hämophilie nicht heilbar. Eine enge Zusammenarbeit mit auf Hämophilie spezialisierten Kinderärzten, Internisten, Chirurgen und Orthopäden sollte im gesamten Therapiekonzept integriert sein. Der Fußspezialist sollte bei Verdacht auf Einblutungen in den Fußgelenken bei vorliegender Hämophilie eine zeitnahe Konsultation beim Arzt empfehlen. Podologische Behandlungen oder Massagen sind in der akuten Phase absolut kontra indiziert.

Erfolgte Blutungen gilt es früh zu erkennen und zeitnah zu behandeln. Bei heftigem Nasenbluten, vor allem bei Kindern, kommt sofort Kryotherapie (umwickelte Pads mit einem Tuch) oder kalte Umschläge in der Nackenregion und ggf. eine Tamponade in der Nase mit Gelaspon in Betracht. Ebenso sollte bei Gelenkeinblutung sofort gekühlt und die Extremität hoch gelagert werden. Eine Schonung mit kurzzeitiger Immobilisierung und dosiertem Kompressionsverband ist zwingend notwendig. Stärkere Gelenkergüsse können unter Substitution des fehlenden Gerinnungsfaktors punktiert werden. Zusätzlich sind zur Schmerzlinderung Analgetika (Schmerzmittel), die nicht die Blutgerinnung behindern, hilfreich. Oberste Priorität hat eine Substitution des fehlenden oder zum Teil inaktiven Gerinnungsfaktors.

Vor Operationen ist eine Absprache mit einem Hämophilie-Zentrum betreffs einer prä- bzw. perioperativen Behandlung mit einem gentechnischen Faktorenkonzentrat notwendig. Operative Eingriffe bei hämophiler Arthropathie (Gelenkerkrankung) betreffen eine partielle Synovektomie (teilweise Entfernung der entzündlichen Synovialis (innere Membran der Gelenkkapsel)), gegebenenfalls eine Arthrolyse (Gelenkmobilisation mithilfe von Lösung bestehender Verwachsungen oder einer geschrumpften Gelenkkapsel) oder letztlich einem endoprothetischem Ersatz (Gelenkersatz).

Postoperativ ist eine orthopädieschuhtechnische Versorgung wichtig. Anschließend sind gezielte krankengymnastische Übungen empfehlenswert. Fehlbelastungen des Fußes, aufgrund einer möglichen, sich entwickelnden Arthrose in den Fußgelenken, mit Hyperkeratose (verstärkter Hornhaut), Callositas (Schwiele) und Clavi (Hühneraugen) erfordern regelmäßige podologische Behandlungen. Zur Druckentlastung eignen sich Druckschutzartikel aus Polymergel von GEHWOL. Des Weiteren erhalten Betroffene Tipps zur häuslichen Fußpflege, etwa mit der GEHWOL MED Hornhaut-Creme oder der GEHWOL MED Sensitive, und prophylaktische Maßnahmen zur Verhinderung von Verletzungen.

 

Prognose

Eine Verbesserung der Lebenserwartung, Mobilität und Lebensqualität wird durch eine frühzeitige Diagnostik und notwendigem Therapiebeginn mithilfe einer Substitution fehlender Gerinnungsfaktoren erzielt. Zu bedenken ist, dass Faktorenkonzentrate sehr kostspielig sind und demzufolge die Prognose in Entwicklungsländern leider ungünstig verlaufen kann.

 

Fallbeispiel

Es handelt sich um einen 34 Jahre alten Mann mit vererbter (Mutter als Konduktorin (Überträgerin)) schwerer Hämophilie A mit einer Restaktivität des Gerinnungsfaktors VIII von < 1 %. Anamnestisch berichtet der Betroffene über progrediente (zunehmende) Beschwerden in der Region des rechten oberen Sprunggelenks ohne vorausgegangenes Trauma (Verletzung). In der Folge kam es zu rezidivierenden (wiederholten) spontanen Einblutungen in das obere Sprunggelenk mit heftigen Schmerzen, Gelenkschwellung und ausgeprägter Funktionseinschränkung. Nach prä-, peri- und postoperativer Substitution mit Gerinnungsfaktor VIII bestätigte sich mithilfe einer Arthroskopie (Gelenkspiegelung) der Verdacht einer partiellen (teilweise) vorliegenden Talusnekrose (sogenannter Zelltod im Sprungbein) mit diffuser Knorpelschädigung.

Abb1
Abb2
Abb3

Abb. 1 a, b und c: Rechter Fuß in drei Ebenen zeigt nach Abklingen der akuten Einblutungsphase, eine sichtbare Schwellung am lateralen Malleolus (äußeren Knöchel) und oberen Sprunggelenk.

Abb2a
Abb2b

Abb. 2 a und b: Magnetresonanzbilder mit Kontrastmittel weisen eine größere Schädigung (Läsion) im Knochen und Knorpel (osteochondrale Läsion) im oberen Sprunggelenk auf. In der distalen Tibia (Schienbein), distalen Fibula (Wadenbein) und besonders im Talus (Sprungbein) zeigt sich eine ausgedehnte osteochondrale Läsion (Schädigung im Knorpel und Knochen) mit zystischen nekrotischen (sogenannter Zelltod) Arealen. Des Weiteren ist eine deutliche Verschmälerung des Gelenkspalts im oberen Sprunggelenk im Sinne einer hämophilen Osteoarthropathie (Erkrankung des Knochens und Gelenks aufgrund der vorliegenden Bluterkrankheit) zu erkennen.

Unsere Autorin

MR-2

Dr. med. Renate Wolansky
Fachärztin für Orthopädie, Sportmedizin, Naumburg